Das Marathon-Problem - Der kreative Tod der AAA-Shooter-Industrie
Die Tage hat Entwickler Bungie mit "Marathon" seinen nächsten Shooter erstmalig vorgestellt. Auf den ersten Blick ist das ein ästhetischer Shooter, auf dem zweiten offenbart er allerdings ein großes Problem, welches sich durch die komplette AAA-Spielebranche zieht.
Info: Bei diesem Text handelt es sich um ein Transkript des am Ende verlinkten Videos.

von Marc Friedrichs
16.04.2025, 12:03 Uhr 2

Auf das vergangene Wochenende haben viele Spieler ja sehnsüchtig gewartet, denn Entwickler Bungie, der mittlerweile zu Sony gehört, hatte angekündigt, nach "Halo" und "Destiny" seinen nächsten Shooter erstmalig ausführlich vorzustellen: "Marathon". Der Titel fungiert gewissermaßen als Reboot für ein gleichnamiges Spiel aus dem Jahr 1994, hat mit diesem allerdings nicht mehr all zu viel gemeinsam - was alten Fans schon beim ersten Teaser 2023 etwas sauer aufgestoßen ist. Schaut man sich die neuen Gameplay-Szenen an, dann wird zuerst einmal optisch einiges geboten, denn der cleane Science-Fiction-Look kommt sehr ästhetisch daher. Auf den zweiten Blick offenbart "Marathon" meiner Meinung nach aber ein sehr großes Problem. Und das ist vielmehr auch ein Problem der ganzen Triple-A Spielebranche.
Vorweg: Ich habe das neue "Marathon" nicht angespielt. Und auch das alte "Marathon" ist spielerisch seinerzeit an mir vorbeigegangen. Aber natürlich kenne ich das Original und dessen Community, die sich später dann ja zu einem großen Teil erneut hinter "Halo" versammelt hat. Alles, was ich hier zum neuen Spiel sage, basiert also auf der Präsentation und kann sich naturgemäß bis zum geplanten Release am 23. September noch ändern. Und sowieso mag es hier auch unterschiedliche Meinungen geben, die ihr gerne in die Kommentarspalte schreiben dürft.
Ich für meinen Teil kann zumindest nur sagen, dass mich die Enthüllung von "Marathon" am Ende alles andere als vom Hocker gehauen hat. Nach dem ersten anerkennenden Nicken in Sachen Grafik zeigte Bungie dann nämlich nach und nach, auf was das Game hinauslaufen wird: klassische Extraction-Shooter-Action, PvPvE, Battle Pass, keine Singleplayer-Kampagne, Monetarisierungsmodelle, drei Maps zum Launch, sechs spielbare Charaktertypen... und ich habe mich ernsthaft gefragt: "Wow, wirklich schon wieder?"
"Marathon" ist nicht die Rückkehr eines beliebten Franchises aus den 1990ern, es ist auch keine Neuerfindung oder eine Neuinterpretation eines Klassikers. Stattdessen wirkt das Game wie ein weiteres Triple-A Live-Service-Produkt, welches trendig verpackt und mit einer bekannten IP daherkommt. Und spätestens hier wird klar, dass das Problem von "Marathon" ein viel weitreichenderes ist und das ganze moderne Gaming betrifft. Denn "Marathon" offenbart mal wieder, dass sich Entwickler - oder vielmehr die Chefetagen der Konzerne und Publisher im Hintergrund mit ihren Marketing-Direktoren - mehr für Kalkulationstabellen interessieren als für die Spielerfahrung der Gamer. Diese Leute denken nur noch in Roadmaps anstatt in Spielen und sie glauben ernsthaft, Erfolg ist die Maximierung des Return on Investments (ROI) anstatt ein Game auf den Markt zu bringen, welches den Spielern lange Zeit im Gedächtnis bleiben wird und neue Maßstäbe setzt.
Dabei müsste das im Grunde genommen alles gar nicht sein. Wir leben in einer Zeit, in der Spiele technisch betrachtet niemals besser waren. Nie sahen Games so gut aus wie heute. Und trotzdem fühlen sich immer mehr von ihnen immer langweiliger an. Wir befinden uns derzeit in der fortschrittlichsten Ära der Gaming-Geschichte und objektiv betrachtet waren Spiele noch nie so ausgefeilt. Doch in Wahrheit wirkt ein Großteil heutiger Games so, als stamme er aus dem selben Content-Generator - und zwar nicht einmal einem guten. Man mag sich fast fragen, warum man nicht schon heute komplett auf KI-Entwicklung setzt, denn eintöniger kann es dadurch sicherlich kaum noch werden - nur günstiger. Wieso es diesen Einheitsbrei trotzdem schon heute gibt, ist dabei leicht zu beantworten, denn Spiele haben schon lange aufgehört Spiele zu sein. Sie sind Produkte. Produkte, die Spieler in einen niemals endenden Kreislauf aus Loot und Gameplay schicken wollen, das darauf ausgelegt ist, gerade noch ausreichend viel Dopamin beim Konsumenten auszuschütten. Saisonale Events, die man nicht verpassen möchte (weil man könnte ja was verpassen!), und Ingame-Kosmetik-Shops laden schneller als die Spiele selbst. Diese bekommen von den Finanzierern im Hintergrund nicht Grünes Licht, weil sie Spaß machen oder originell sind, sondern weil sie in ein Monetarisierungsmodell passen.
Gefühlt jedes zweite Game ist mittlerweile irgendwie gleich und das beste Beispiel dafür sind derzeit Extraction-Shooter wie "Marathon". Erinnert ihr euch noch daran, wie vor einigen Jahren fast jedes Studio meinte, ein Battle-Royale-Spiel machen zu müssen? Vergesst es, denn jetzt ist die Extraction-Phase angelaufen. Auf allen Plattformen beginnen sie zu sprießen - von "Delta Force" über "Helldivers" bis "Exoborne" und "Hunt: Showdown 1896". Unfreiwillig komisch ist dabei nur, dass einige geplante Extraction-Shooter schon wieder eingestellt wurden, bevor sie überhaupt den Early Access verlassen haben und final erschienen sind. Am Ende laufen aber alle diese Spiele nur einem Trend hinterher: Spieler sollen kein unvergessliches Erlebnis serviert bekommen, sondern am besten über zig monetarisierte Seasons und nicht minder wenige Kosmetikpakete bei der Stange gehalten werden. Das alles ist schon lange kein Gamedesign mehr, sondern schnödes Produktdesign. Und es zerfrisst die Seele der ganzen Branche.
Doch kommen wir zurück zu "Marathon". Das Original aus dem Jahr 1994 war irgendwie wild - und dabei seiner Zeit weit voraus. Bungie nahm die "Doom"-Mechaniken und packte sie in eine eigene First-Person-Philosophie. Es war damals mehr als ein Shooter, es hatte neben Rätseleinlagen auch eine eigene Identität. Es war für damalige Verhältnisse eine absolut neue Erfahrung. Und was bekommen wir heute? PvPvE, Loot und ein Extraction-Game. Wie eingangs erwähnt gibt es keine Kampagne, stattdessen Pässe, Premium-Content und Roadmaps. Dabei ist es auf Hochglanz poliert und offenbart zeitgleich eine unglaubliche Leere. Und nein, das neue "Marathon" wird nicht einmal Free-2-Play. Man muss für das Game bezahlen und dennoch für kosmetische Gegenstände grinden sowie Season-Pässe kaufen. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie die Führungsriege bei Bungie anfangs zusammengesessen hat: "Mensch, wir brauchen neben 'Destiny' echt noch ein zweites Live-Service-Game. Extraction-Shooter... sind der neue Trend, oder? Haben wir da nicht noch eine alte IP? Lasst uns daraus doch einfach etwas basteln!" Ich sehe da zum aktuellen Zeitpunkt eher Umsatzstrategie als kreatives Herzblut. Aber wie gesagt: ich bewerte hier nur das, was in der Präsentation zu sehen war. Vielleicht wird "Marathon" nach geschnittenem Brot ja doch das große Ding überhaupt - und ja, da hätte ich auch wirklich nichts dagegen. Aber bislang sehe ich da wenig Revolutionäres, was ich Bungie auch trotz der in meinen Augen eher mageren letzten Jahre durchaus noch zugetraut hätte. Soll ich also Geld in ein Spiel stecken, welches mich immer weiter monetarisieren will? Nein, danke. Und ehrlich gesagt: Zu Zeiten von "Halo" hätte ich es niemals für möglich gehalten, dass ich so etwas mal über Bungie sagen würde... Und dabei sind die nicht einmal die Schlimmsten der Branche.
Ich bin jetzt schon wirklich lange dabei und habe so einiges in der Spielewelt gesehen. Aber Game-Entwicklung hat sich immer dadurch ausgezeichnet, dass "Verrückte" mit Visionen - und das meine ich jetzt durchaus liebevoll - am Ruder saßen. Sie schufen Spiele, weil sie sie geliebt haben. Jetzt werden Entwicklungs-Entscheidungen eher durch Performance-Indikatoren in Excel-Tabellen getroffen und Teams nicht durch Kreativität, sondern durch Kennzahlen gesteuert. Es geht nicht darum, ob ein Game spaßig ist, sondern einzig darum, dass die Leute ins Spiel zurückkehren - nach 7 Tagen, nach 30 Tagen, nach 90 Tagen - und wieviel Geld sie an jedem dieser Tage ausgeben. Wie lang ist eine Spielesession? Wann sollen Spieler ihr erstes Achievement bekommen? Wann können wir ihren das erste Mal den Shop zeigen? Das sind die Fragen in den Studios heutzutage. Dabei glaube ich nicht einmal, dass die Entwickler kein geiles Game raushauen wollen. Aber Kunst lässt sich nun einmal nicht erschaffen, wenn Führungskräfte nur noch in Kennzahlen denken. Heraus kommen dann Produkte mit schönen Oberflächen und oberflächlichem Gameplay. Und man kann sicher sein: Wenn zum Release eines Spiels noch Inhalte fehlen, so ist der Store vollständig. Und auch wenn das Gameplay hier und da anfangs noch nicht ausgereift ist, die Kosmetikpakete kann man von Tag 1 an ohne Probleme freischalten, weil das Geschäftsmodell die Mittelmäßigkeit belohnt solange sie funktioniert.
Wir alle haben ja schon diese mutigen Spiele gesehen, die sich Neues getraut haben und neue Wege gegangen sind, weil sie eben nicht dazu ausgelegt waren, die Gamer in erster Linie langfristig zu binden. Jetzt haben wir stattdessen saisonale Herausforderungen, Rotationen in den Shops und Entwickler, die sich regelmäßig für den nächsten Patch in den sozialen Medien entschuldigen. Und den Publishern ist es mittlerweile anscheinend größtenteils egal, ob die Spieler von einem Titel regelrecht umgehauen werden. Wichtig ist vielmehr, was die Quartalszahlen hergeben. Versprühten Spiele früher immer eine gewisse Magie, sind sie jetzt einfach nur noch Content. Man kann von Glück sagen, dass es noch rühmliche Ausnahmen gibt und einige Entwickler als auch Verlage die kreative Last der Branche weiterhin auf ihren Schultern für alle anderen mit tragen. Die Innovation ist nicht tot, sie hat nur die Triple-A-Industrie zu großen Teilen verlassen. Jetzt werden einige sagen: Aber hey, die großen Studios müssen halt ihre Rechnungen bezahlen! Und die Anteilseigner wollen ja auch mitverdienen! Ja, sicherlich. Aber das muss und kann auch funktionieren, ohne das jedes neue Triple-A-Spiel zu einem monetarisierten Albtraum wird.
Vielleicht bin ich einfach zu alt für diesen modernen Scheiß. Aber ich weiß: es gab und gibt da immer noch viele Games, die sich etwas trauen und ein Herz haben. Gaming war nie populärer, profitabler und technologisch beeindruckender. Wir sollten nicht zulassen, dass es zeitgleich auch immer seelenloser wird. Anstatt zu Spielen wie "Marathon" zu greifen, sollten wir lieber die Studios unterstützen, bei denen noch Leidenschaft vorhanden ist und die an das glauben, was sie tun. Die Verrückten, die Rebellen und die Visionäre. Bungie gehört offensichtlich nicht mehr dazu.
YouTube: Kommentar zu Marathon
Zu den Kommentaren (2)Wie bewertest du das Spiel?
Dieses Rating für registrierte Benutzer lebt von der Qualität der verteilten Sterne. Seid bei eurer Bewertung also fair... [+]: Nur selten hat ein gutes Spiel die Höchstnote verdient und natürlich muss auch ein schwächeres Spiel nicht gleich immer komplett abgestraft werden. Je objektiver ihr eure Sterne vergebt, desto aussagekräftiger ist am Ende die Gesamtwertung. [–]
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KOMMENTARE

Marc
17.04.2025, 10:22 UhrIch finde das so schade... Denn in jeder zweiten Szene sieht man (das war ja auch in Destiny schon so) noch ein gutes altes Halo durchschimmern. Was ist nur aus Bungie geworden...!?

Wolfgang
17.04.2025, 10:06 UhrRichtig!
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